Der Presseverein Münster-Münsterland wünschte sich zum 100. Geburtstag eine Standortbestimmung. Und er bekam sie. Mit einem Festakt im münsterschen Erbdrostenhof feierte der Presseverein am letzten Samstag im Oktober 2008 seinen 100. Geburtstag. An direkten Worten fehlte es nicht während der Feierstunde zum Ende des Jubiläumsjahres mit rund 140 Mitgliedern, DJV-Vertretern, Politikern aus dem Münsterland und Vertretern von Unternehmen aus der Region. Gastgeber wie Gäste nutzten die Gelegenheit, um offen über die Lage des deutschen Journalismus zu sprechen. Journalisten, Politiker und Wissenschaftler verloren dabei das Münsterland aber nicht aus den Augen.
"Einhundert Jahre. Das ist doch auch schon eine ordentliche Leistung. Das macht Eindruck - besonders auf uns Journalisten, die wir eher rastlos für den Tag leben, schreiben und produzieren", begrüßte der Vorsitzende Werner Hinse die Gäste im historischen Festsaal des Erbdrostenhofs im Namen des Vorstands des Pressevereins, der die Veranstaltung seit Monaten vorbereitet hatte. "Wir wollten dieses Jahr eigentlich nur unser 60-jähriges Bestehen feiern. Denn wir wussten es nicht besser", gestand der Vorsitzende zu Beginn den geladenen Gästen, darunter als Hausherr der LWL-Direktor Dr. Wolfgang Kirsch, Regierungspräsident Dr. Peter Paziorek, DJV-Bundesvorsitzender Michael Konken, der Landesvorsitzende des DJV, Helmut Dahlmann, und als Festredner der streitbare Professor Dr. Achim Baum von Fachhochschule Osnabrück. Mit Dr. Benedikt Hüffer begrüßte Hinse auch einen der größten journalistischen Arbeitgeber der Region. "Aber dann haben wir Anfang des Jahres erfahren, dass der Presseverein bereits 1906 gegründet worden war. Deshalb stehen wir nun in einer einhundertjährigen Tradition, der wir uns als Verein und Journalisten noch richtig bewusst werden müssen." Und der Festakt könne Zeit für eine Standortbestimmung des Pressevereins bieten.
Wie weit die Probleme heutiger Journalisten in Zeiten von Newsdesks und globalisierter Kommunikation von der Gründerzeit des Pressevereins entfernt sind, zeigt sich schnell. Denn Zeitungsredakteure stellten 1906 die acht Gründer, heute sind in dem Verein rund 450 Mitglieder in diversen Medienberufen in der Region tätig. Hinse stellte heraus, dass die Kernaufgabe des Pressevereins seit 100 Jahren die gleiche sei: "Lobbyismus". Wie das umgesetzt werde, darauf hat bislang noch jede Vereinsgeneration ihre eigenen Rezepte gefunden. Was sich in dem Jahrhundert nicht grundlegend geändert habe, sei das schlechte Image des Berufs unserer Mitglieder. Lesern, Hörern und Zuschauern müsse immer wieder deutlich gemacht werden, dass es Journalistinnen und Journalisten seien, die ihnen präzise Informationen und Wissen für ihr Handeln beschaffen. Und dass unabhängige und vielfältige Berichterstattung ein hohes Gut sei, "wenn auch leider zurzeit ein sehr gefährdetes". Hinse wiederholte die bereits auf der Pressekonferenz eine Woche zuvor in Münster herausgestellte Position des Vereins: "Journalistinnen und Journalisten sind nicht verzichtbar in unserer Demokratie. Genauso wenig ist es der Presseverein. Wir stehen zu unserer verantwortungsvollen gesellschaftlichen Aufgabe – auch für Münster und das Münsterland."
Dokumente zum Herunterladen:
"Unser Beruf: Informieren" (Jubiläumsbuch)
"Mehr als nur informieren" (Festrede von Prof. Baum)
Begrüßungsrede von Werner Hinse
Hausherr Dr. Wolfgang Kirsch nutzte als Quasi-Oberwestfale das Grußwort, um die Stellung Westfalens in Nordrhein-Westfalen zu betonen. "Westfalen stellen sich quer, wenn sie vom Land nicht richtig behandelt werden und gegen Regionalbehörden arbeiten. Sonst würde die kommunale Selbstverwaltung auf der Strecke bleiben." Ebenfalls eindringlich bat er die Journalisten im Saal, über alle redaktionellen Neuerungen hinweg soziale Themen nicht aus dem Berichterstattungsspektrum zu drücken.
Als "gern gesehener Gast in Münster" wurde der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands, Michael Konken, begrüßt. In seinem Grußwort lobte er den Presseverein als "Leuchtturm" für lokales Engagement und verwies auf den Einsatz des Pressevereins und seiner Mitglieder beim skandalösen Redaktionstausch bei der Münsterschen Zeitung. Doch er stellte diese Ereignisse am Ende eines Schnellexkurses durch die deutsche Pressegeschichte in einen großen Zusammenhang: "Pressefreiheit ist für viele zu einem Ärgernis geworden." Konken forderte von Politik und Gesellschaft: "Hände weg von bewährten Strukturen. Hände weg von weiteren Eingriffen in die Meinungsfreiheit der freien Presse, die sonst letztlich die Demokratie ins Wanken bringen würden."
Mit einem beziehungsreichen Geschenk war der neue Regierungspräsident Dr. Peter Paziorek in den Erbdrostenhof gekommen. Er überreichte dem Presseverein ein Bändchen "100 Jahre Bezirksregierung" – und erheiterte die Zuhörer mit Anspielungen auf die Recherche von Jubiläumsdaten. Dem Presseverein bescheinigte er, "ein schlagkräftiger und kompetenter Interessenverband" zu sein, "der negative Entwicklungen in der Medienlandschaft aufhalten kann und akzeptable Bedingungen für seinen Berufsstand schafft." Und wie sich journalistische Arbeitsbedingungen verschlechtern könnten, sei ihm als Bundestagsabgeordneten beim Regierungsumzug von Bonn nach Berlin nur zu deutlich geworden.
Nach den Grußworten trat Professor Dr. Achim Baum mit einer bemerkenswerten und zugleich unterhaltsamen Rede ans Pult. Eingeführt als "Freund deutlicher Worte" bürstete der Kenner der deutschen publizistischen Landschaft in seiner Festrede die deutsche Medienwelt gegen den Strich. Und er wurde seinem Ruf gerecht, Fragen journalistischer Ethik direkt anzugehen und sich für eine umfassende publizistische Selbstkontrolle in der Gesellschaft einzusetzen. In seinem "Mehr als nur informieren" betitelten Vortrag zeigte Baum nicht nur auf "die dunkelsten Flecken einer organisierten Kommunikation", sondern der gelernte Journalist sorgte sich auch um die Zukunft des deutschen Journalismus. "Dabei stellt sich durchaus die Frage, wie lange man noch den Journalismus und die Medienbranche in einem Atemzug nennen darf. Denn auch die Medienbranche vollzieht mittlerweile diese Wendung hin zu einer organisierten Marktkommunikation, die mit dem journalistischen Anspruch, dem sie verpflichtet ist, nur noch sehr wenig gemein hat."
Journalisten nahm Baum in die Pflicht, weiterhin als "Agenten der Öffentlichkeit" zu arbeiten. Denn "es gibt eine stillschweigende Verabredung zwischen Journalisten und ihrem Publikum. Sie lautet: Ich erwarte von einem journalistischen Kommunikationsangebot, dass es mich dazu verleitet, mich selbst zu überraschen, dass ich ein anderer bin, nachdem ich es in Anspruch genommen habe. Und diese Veränderung will ich als Leser, Zuschauer oder Hörer selbst – in meinem eigenen Kopf – gemacht haben." Dies sei ein "Lernprozess mit unbestimmtem Ausgang", der möglicherweise die Überzeugungen und Wertorientierungen ändere. Das sei die Aufgabe des Journalismus in einer demokratischen Öffentlichkeit – und "nicht weniger".
Reimar Bage stellte den Gästen den Jubiläumsband "Unser Beruf: Informieren" vor, der aus Anlass des 100-jährigen Bestehens aufgelegt worden war. Verdiente und erfahrene Mitglieder wie Maria Urbancyzk, Reimar Bage, Günter Graf, Alfred Große Hüttmann, Adolf Johannterwage und Hans Lok hatten sich auf die Suche gemacht, um für alle Mitglieder und die interessierte Öffentlichkeit zu dokumentieren, was münsterländische Journalisten in den vergangenen 100 Jahren bewegt hat. Hinse dankte den Inserenten und Sponsoren. Ohne sie und das Engagement des münsterschen Dialog-Verlags hätte "dieses kollektive Rückbesinnen im Presseverein nicht publiziert werden können". Die ersten Exemplare des neuen Buches überreichte Reimar Bage an die Mitglieder Heinz Renk, Hubert Knaup und Franz Matusczyk mit mehr als 50 Mitgliedsjahren und an das Neumitglied Malte Dedecek von Radio RST in Rheine. Bundesvorsitzender Michael Konken überreichte Knaup und Renk die DJV-Ehrennadel in Golf für 50-jährige Mitgliedschaft im DJV.
Von Pressevereins-Schatzmeister Andreas Große Hüttmann erhielt der Chef des DJV-Unterstützungsvereins, Sven Hamann, eine Spende des Pressevereins überreicht. Der Verein greift Kolleginnen und Kollegen und deren Angehörigen finanziell unter die Arme, die durch die immer gröber werdenden Maschen unseres sozialstaatlichen Hilfsnetzes zu fallen drohen, wie Große Hüttmann herausstellte. Hamann sammelt seit Jahren beharrlich für diesen Verein. Auf dem Empfang füllte sich das Sparschwein am DJV-Stand im Foyer des Erbdrostenhofs auch noch weiter. Der eigentliche Festakt endete nach gut eineinhalb Stunden mit einem plattdeutschen Kommentar des Vorsitzenden Hinse, der angesichts der Schwierigkeiten der Medienbrache trotzig-münsterländisch klang: "We schriff, de bliff."